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gemütliche Gruppenausfahrt. Von wegen.

Man kennt es. Es ist draußen nass, kalt, oder einfach nur zu dunkel für eine Feierabendrunde. Die Lösung? Eine lockere Gruppenausfahrt auf Rouvy, Zwift oder einer anderen digitalen Trainingsspielwiese. Bei mir Rouvy, das ich aktuell nutze.
Die Einladung verspricht Gemütlichkeit: „EASY COFFEE RIDE#2 1,3-1,5 W/KG“, dazu eine flache Etappe mit wenigen Höhenmetern.
Also genau das Richtige für einen ruhigen Abend, dachte ich mir.

Und dann passiert es. Immer!
Ein Startschuss, der keiner war. Schon in der Startzone spürst du dieses unterschwellige Kribbeln. Jeder weiß, dass es kein echtes Rennen ist. Jeder weiß, man nimmt an einer gemütlichen Gruppenausfahrt teil. Aber hey, wir sind doch Radfahrer!
Die Sekunden ticken runter, die Avatare stehen nervös nebeneinander. Statt eines gemächlichen Anfahrens knallt die virtuelle Horde los, als hätte jemand eine Gewinnsumme ausgelobt.
Deine Beine, die eigentlich auf einen sanften Einstieg programmiert waren, schreien nach Luft. Die geplanten 1,5 W/kg? Ein frommer Wunsch.

Die psychologische Dynamik des Virtual Cycling ist faszinierend und brutal zugleich. Sobald die Pedale drehen, setzt der urinstinktive Wettbewerbsmodus ein. Immer.
Auch im Internet schön beschrieben:

  • Der Windschatten-Fluch: Du hängst am Hinterrad deines virtuellen Vordermanns, genießt den digitalen Windschatten und denkst: „Super, da spare ich Kraft.“ Und genau in diesem Moment legt der Kollege vorne eine Schippe drauf. Und noch eine. Aus der Effizienz wird eine Notwendigkeit: Dranbleiben oder abreißen lassen!
  • Der „Wie viel Watten die denn?!“-Effekt: Die kleinen Zahlen neben den Namen der Mitfahrer sind wie ein Fluch. 3,5 W/kg! 4 W/kg!. Plötzlich vergleichst du dich nicht mehr mit deiner eigenen Trainingsvorgabe, sondern mit der vermeintlich mühelosen Power der Avatare der Mitfahrer. Und schon drückst du mehr, weil der Stolz das Hirn überstimmt hat.
  • Die Steigung als Showbühne: Die erste Rampe ist der Wendepunkt. Hier zeigt sich, wer wirklich zur Kaffeefahrt gekommen ist und wer nur so getan hat. Die Watt-Zahlen explodieren, die virtuelle Gruppe zerfällt in Einzelkämpfer, die mit schmerzverzerrten Gesichtern (zumindest stelle ich mir das hinter den Bildschirmen so vor) um jede Sekunde kämpfen.

Gestern war es nicht anders. Die vereinbarten 1,5 W/kg waren nach wenigen Kilometern Geschichte. Es war ein Ausscheidungsfahren mit Video-Hintergrund. Der Ehrgeiz hatte mich gepackt. Ich befand mich in der Spitzengruppe und wollte auch in dieser am Ziel ankommen. Einmal musste ich nach einer überraschenden Attacke eines Mitfahrers kurz reißen lassen. Die Beine brannten. Der Schweiß lief in Strömen. Aber: ich konnte mich wieder heranarbeiten. Und diese Position wollte ich nicht mehr aufgeben.

Am Ende, nach einem Sprint, der eigentlich gar nicht geplant war, bin ich dann als zweiter über die virtuelle Ziellinie gerollt. Ein tolles Ergebnis, wenn man bedenkt, dass ich nur „locker die Beine bewegen“ wollte.
Zufriedenheit? Absolut! Aber auch die Erkenntnis: eine virtuelle Gruppenausfahrt ist wie eine Tafel Schokolade, von der man weiß, dass man nur ein Stück essen wollte. Es endet immer im Vollen.

Die lockere Tour? Ein Mythos. Aber hey, wer braucht schon lockere Touren, wenn man auch ein virtuelles Podium haben kann?


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